Die Spannung zwischen Gut und Böse steht am Anfang der biblischen Literatur. Aus dem Chaos schöpft Gott die Welt und sieht, dass es gut ist. Nur ein paar dutzend Verse später erschlägt Kain seinen Bruder Abel. Dazwischen verlieren die Menschen ihre Unschuld, indem sie von der verbotenen Frucht naschen, die klug macht: einfach zu verlockend zu wissen, was gut und böse ist! Mit der Klugheit kommen die Ausflüchte: Die Frau war’s! Die Schlange war’s! Soll ich der Hüter meines Bruders sein? Schuldig, listig, sündig und böse – das sind immer die anderen.
Erkenntnis heißt Verantwortung und prompt wächst die menschliche Verantwortungslosigkeit. Sie durchzieht die biblische Literatur bis ins Neue Testament. Die Frau, die Jesus mit Öl salbt und seine Füße mit ihren Tränen benetzt, heißt nur „die Sünderin“. Auf ihr wird alles Übel abgeladen, damit Jesu Gastgeber reinen Gewissens am Tisch sitzen können. Jesus vergibt der „Sünderin“ und bringt das Schwarz-Weiß-Denken durcheinander.
Wäre es da nicht schön, wirklich wieder jenseits von Gut und Böse zu leben? Wir sehnen uns nach der Unschuld des Paradieses. Welch eine Entlastung wäre es, die Verantwortung für Gut und Böse nicht mehr tragen zu müssen! Es wirkt wie eine Sehnsucht nach Unmündigkeit und Einfachheit. Aber es würde letztlich den Verlust des Menschlichen bedeuten. Denn es ist niemals einfach, wirklich Mensch zu sein. Mensch zu sein bedeutet, zu erkennen, zu unterscheiden, sich zu entscheiden. Gut oder Böse – wir haben immer die Wahl!
Kein Menschsein ohne das Böse, kein Gutes ohne Böses: Das Böse bedingt das Gute, es braucht am Ende beide Gegenspieler. „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ antwortet Mephistopheles Goethes Faust. Nur ein Beispiel unter vielen: Seit biblischen Zeiten hat das Böse die Literatur nicht losgelassen. Wie auch? Schließlich ist ihr doch nichts Menschliches fremd!
Und es hält die Welt in Atem: Krieg und Krisen bedrohen nicht nur die Sicherheit in Europa, sie erschüttern unser Weltbild. Durften wir nicht glauben, dass in aller Dialektik der Weltgeschichte am Ende alles gut wird? Lüge und Postfaktizität, Antisemitismus und Hatespeech – wir starren wie gebannt auf unsere neue Wirklichkeit. Offenbar lässt sich mit dem Bösen trefflich Politik treiben! Der Teufel ist immer der andere.
Wir setzen uns auf die Spur des Bösen in Literatur und Politik. Woher das Böse? Der alten Menschheitsfrage nähern wir uns aus literarischer und politikwissenschaftlicher Perspektive neu an. Wir laden Sie herzlich ein zu unserem Blickwechsel zwischen Literatur und Wissenschaft!
Pfr. Dr. Hendrik Meyer-Magister Stellvertretender Direktor und StudienleiterEvangelische Akademie Tutzing
Barbara Greese Rezitatorin und Rhetoriktrainerin, München